Zahlen, bitte! 6117 Spiegel und ein Energieproblem weniger​

Die Weltausstellung 1904 stellte einige wegweisende Technologien aus, die bis heute wichtig sind. Auch die Diskussionen waren erstaunlich aktuell.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 3 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Am 30. April 1904 wurde im US-amerikanischen St. Louis die Louisiana Purchase Exibition eröffnet, besser bekannt als die Weltausstellung 1904, denn die Feier zum 100. Jahrestag des Kaufes von Louisiana im Jahre 1803 fand mit einjähriger Verspätung statt. Das Thema Elektrizität und der Energie in allen Formen war das beherrschende Thema.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Zwei Goldmedaillen, eine Silbermedaille und den "Great Prize of Louisiana Purchase Exposition" gewann der Pyreliophorus des portugiesischen Erfinders und Geistlichen Manuel António Gomes. "Der, der das Feuer bringt", so die Übersetzung aus dem Altgriechischen, war ein gewaltiger Parabolspiegel mit 6117 einzelnen Spiegeln, der als Solarkollektor funktionierte und im gebündelten Fokus am 19. Oktober auf der Ausstellung eine Temperatur von 3500 Grad Celsius erreichte und Metall schmolz.

"Die Sonne wird all unsere Energie-Probleme lösen", schrieb der "Padre Himalaya" (2,25 Körpergröße) später in seinen Erinnerungen. Während seine Erfindung begeisterte, kam seine Empfehlung nicht gut an: Der strikte Vegetarier empfahl den insgesamt 19 Millionen Ausstellungsbesuchern aus dem Mittelwesten den Verzicht auf den Irrsinn der Fleischerzeugung.

Die Weltausstellung von 1904 war eine Siegesfeier der Elektrizität. General Electric installierte den bis dato größten Dynamo der Welt, Westinghouse sorgte dafür, dass die 1500 Gebäude auf dem autarken Gelände nachts von Glühlampen bestrahlt wurden. Zur Eröffnung am 30. April sorgte Präsident Roosevelt mit einem Knopfdruck dafür, dass der Strom eingeschaltet wurde, der das Riesenrad betrieb und die Straßenbahnen auf dem Gelände laufen ließ. Er drückte freilich nicht vor Ort einen Knopf, sondern löste das Signal von Washington aus. Roosevelt war mitten im Wahlkampf und befürchtete, dass seine Anwesenheit bei der Eröffnung der Weltausstellung als politische Einflussnahme kritisiert werden könnte.

Das Funksignal lief über den 91 Meter hohen Turm der American De Forest Wireless Telegraph Company über Chicago und wurde von dort nach Pittsburgh und Washington geschickt. Die erste echte Mobilkommunikation fand mit einem Fesselballon in 457 Metern Höhe statt. Unten am Turm konnten die Besucher an Kopfhörern die krächzenden Signale mithören.

Die Sonnenkollektoren auf dem Gestell. Ausstellungsstück der Weltausstellung 1904.

(Bild: St. Louis Public Library Digital Collections )

Der Parabolspiegel Pyreliophorus beeindruckte die Besucher der Weltausstellung, wurde aber von ihnen als mögliche Waffe diskutiert, während ihn Erfinder Gomes vor allem in der portugiesischen Landwirtschaft einsetzen wollte. Nach zahlreichen Optimierungen des Räderwerks und der Spiegelstellungen erreichte er seine volle Leitung erst am 19. Oktober. Es war der dritte Versuch von Pater Gomes, einen Sonnenkollektor zu bauen. Unter dem Titel "A Solar Reducing Furnace" berichtete der Scientific American von diesem Ereignis. Gomes lies seinen Sonnenkollektor in einigen Ländern zum Patent anmelden. Er brachte ihm keinen Erfolg ein, ganz im Gegensatz zu seinem zweiten wichtigen Patent, einem gefahrlos zu transportieren Sprengstoff.

Der Pyreliophorus stand vor dem portugiesischen Pavillon, einem der vielen Länderpavillons, die von ca. 28.000 Arbeitern aus Holz, Lehm, Putz und Hanf erbaut wurden. In den Gebäuden zeigten die teilnehmenden Länder und die US-Bundesstaaten die neuesten Produkte, Erfindungen oder eben ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Eine Ausnahme bildete das Deutsche Reich. Der deutsche Beitrag, "Das Deutsche Haus" genannt, war eine auf Befehl des Kaisers Wilhelm II. erbaute Kopie vom Schloss Charlottenburg, in der Geschenke hingen oder standen, die dem Kaiser gemacht wurden. Beliebt war er nicht wegen der kaiserlichen Großmacht-Allüren, sondern durch den Bier-Ausschank der lokalen Großbrauerei Anheuser-Busch und durch ein dahinter liegendes deutsches Wein-Restaurant.

Der deutsche Pavillon "Das Deutsche Haus" in einer Darstellung des offiziellen Katalogs zur Weltausstellung 1904.

(Bild: St. Louis Public Library Digital Collections)

Technische Anerkennung für Deutschland war hingegen im "Tempel der Elektrizität" zu finden, wo alle möglichen Apparate standen, die die Nutzung der neu entdeckten Strahlen demonstrierten. Im Mittelpunkt des Interesses standen die Röntgenstrahlen. Die Apparate wurden von Edison eingehend studiert, der danach eigene Geräte auf den Markt brachte, ganz im Sinne von Röntgen.

Auch das Finsen-Licht mit der Nutzung von "chemischen Lichtstrahlen" zur Therapie der Hauttuberkulosen des frisch gebackenen Nobelpreisträgers Niels Ryberg Finsen[PDF] fand großen Zuspruch. Noch mysteriöser war für viele die Demonstration des Telautographen von Elisha Grey, der als Vorläufer der Fax-Maschinen gilt und bereits auf der Weltausstellung von Chicago 1893 als manchmal funktionierendes Modell gezeigt wurde. Der geniale Erfinder Grey war 1901 gestorben, doch sein Assistent Foster Ritchie machte aus dem unzuverlässigen System ein robust funktionierendes, das er Telewriter nannte. Begeistert berichteten die Zeitung, dass bald Sätze in Echtzeit hin- und hergeschickt werden und man einen "elektrischen Chat" führen könnte.

Die Eröffnungsveranstaltung der Weltausstellung in St. Louis am 30. April 1904.

(Bild: St. Louis Public Library Digital Collections)

Parallel zur Weltausstellung gab es einen internationalen wissenschaftlichen Kongress und die dritten Olympischen Spiele der Neuzeit. Während diese wenig Beachtung fanden, hatte der Kongress einen gewissen Nachhall. Der deutsche Soziologe hatte auf seiner Anreise nach St. Louis zahlreiche protestantische Sekten in den USA besucht und war dabei, diese Erlebnisse in seinem berühmten Aufsatz über die "protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus" zu verarbeiten.

In St. Louis sprach er über die Differenz von Kapitalismus und Agrarverfassung. Ein Teil der Weltausstellung, "The Pike" genannt, war mehr Amüsiermeile denn Leistungsschau. Hier gab es ein Tiroler Bergdorf, hier standen Indianer-Zelte liefen Pygmäen herum, hier hatten die USA ein komplettes Dorf philippinischer Ureinwohner aus der gerade neu eroberten Kolonie eingerichtet. Es gab ein Riesenrad und eine ganz andere revolutionäre Erfindung zu bestaunen und zu kaufen, die Eiskremwaffel.

Aus heutiges Sicht etwas befremdlich war ein Gebäude, in dem Frühgeborene in ihren Inkubatoren gezeigt wurden. Viele Kinder starben, bis der hinzugezogene Arzt John Zahorksy auf die Idee kam, eine gläserne Trennscheibe für die herein strömenden Virenschleudern einzurichten. Da für die Frühchenschau zusätzlich Eintritt gezahlt werden musste, kam bald eine genügend große Summe zusammen, um die Inkubatoren technisch entscheidend zu verbessern. Sehr beliebt war auch eine Eskimo-Völkerschau und eine Tierschau mit dressierten Elefanten, die Carl Hagenbeck nach St. Louis brachte. Hier führte das zusätzliche Eintrittsgeld dazu, dass der Impresario am 7. Mai 1907 in Hamburg Hagenbecks Tierpark eröffnen konnte.

Die Weltausstellung 1904 wurde am 2. Dezember geschlossen. Mit 19 Millionen Besuchenden war sie recht erfolgreich, mit ihrem riesigen Gelände von 515 Hektar wurde sie erst 2010 von der Weltausstellung in Shanghai übertroffen. Als die großen Stromgeneratoren abgestellt und die Gashähne zugedreht wurden, waren viele Gebäude bereits am Verwittern. Viel ist nicht mehr da.

(mawi)